7. März 2021

Die Paläste der Zerstreuung

Noa Jansen
Filmtheaterbetriebe Jansen

Der Film kann viel.

Er entführt uns in neue Welten, erweckt Träume zum Leben, holt uns in unserer Realität und Lebenswelt ab, eröffnet Alternativen.

Der Film kann kritisieren, kann marginalisieren, kann sichtbar machen. Er ist kreativer Ausdruck, der uns zu einer Auseinandersetzung einlädt, mit uns selbst und mit den anderen.

Und wahrscheinlich kann der Film all das, ungeachtet seines Ausgangsmediums.

Filme bewegen und zerstreuen, ob zuhause auf dem Sofa, unterwegs im Zug oder im Kino.

Aber Kino kann mehr.

Denn das Kino ist nicht die bloße Aufführung eines Films, das Kino ist die Architektur, die um einen Film herum errichtet wird.

Das Kino ist der Raum, in dem ein Film zu seiner vollständigen Geltung kommen kann, der Raum in dem wir Zuschauer*innen uns in unserer Gänze auf einen Film einlassen.

Filmtipp

Die fabelhafte Welt der Amélie

Das Beobachten der Reaktionen des Publikums gehört genauso zum Erlebnis im Saal wie der Film selbst. Amélies verliebter Gesichtsausdruck im Kinosaal ist und bleibt unvergessen.

Wir verlassen unsere gewohnte Umgebung und treten ein in diese Architektur der Filmvorführung.

Da sitzen wir dann, den Blick leicht nach oben gewandt, mit Popcorn und Getränk versorgt, wenn wir zu den Nervösen gehören; das Licht geht aus, der Vorhang öffnet sich, die Leinwand wird zum Fenster in eine andere Welt, die sich dann mit unserer Realität vermischt, wenn sie sich gleichsam auf uns zurückwirft, während wir in sie hinein sinken.

Wir können nicht einfach auf Pause drücken, wir lassen auch unser Handy in der Tasche. Es gibt höchstens ein Rascheln, ein Schlürfen, die Hand unserer Begleitung auf dem Knie, das Lachen, das Weinen oder Aufatmen der anderen um uns herum.

Das Kino ist damit ein Raum der freiwilligen und kollektiven Auslieferung.

Filmtipp

Taxi Driver

Neben “Are you talkin to me” ist die Szene im Kinosaal wohl die berühmteste in Taxi Driver und wer hat nicht schon selber oft so vor der Leinwand gesessen.

Siegfried Kracauer nannte Kinos die Paläste der Zerstreuung, er entdeckt das Kino vor fast 100 Jahren nach dem ersten Weltkrieg und findet, noch erfüllt vom Verlorenen, den Erfahrungen der Sinnlosigkeit und des Sinnverlusts, im Kino einen Rückzug; einen Raum in dem die Sinne aufblühen und andere Körperschichten ins Spiel kommen, als das Bewusstsein.

Das Kino ist ein Rückzugsraum vom gesellschaftlichen Betrieb – und ein Raum, der es dem Körper ermöglicht auf eine übermächtige Situation zu antworten, auf die der Verstand keine Antwort mehr findet.

Filmtipp

Und wie sehr können wir diese Räume jetzt gebrauchen, die Rückzugsorte, in denen der Körper antworten darf, durch Lachen oder Weinen, wenn das Bewusstsein nicht mehr mitkommt. In dieser Zeit, in der auch wir Gefühle des Verlorenseins und Erfahrung des Verlusts und der Entbehrung machen, in der wir aufgefordert sind, uns in Selbstzurücknahme zu üben – wie schön wäre da wieder diesen Rückzugsraum zu haben, in dem wir uns freiwillig zurücknehmen; aber eben gemeinsam.

Denn Kino kann auch das: Uns in unserem kollektiven Bewusstsein stärken.

Film und Kino gehören unweigerlich zusammen. Dabei geht es nicht um digitalen Wandel oder technischen Fortschritt, der Dreh- und Angelpunkt ist der Ort selbst. Und Filmemacher*innen wissen darum, der Film weiß darum, der sich immer wieder reflexiv selbst behandelt.

Und auch wenn wir momentan nicht ins Kino können, haben wir bis dahin wenigstens noch die Filme, die uns zurück ins Kino entführen.

Die Gesichter der Redaktion

Mit unserer neuen Website möchten wir euch nun auch gerne regelmäßig hier im News-Blog mit Informationen rund um das Thema Kino und Film füttern.

Wir sind Nick Jansen, Noa Jansen und Maximilian “Max” Lüdemann (vlnr).